Pressemitteilung: Demokratie muss kontrovers sein

Im Landratsamt ist vorerst einmal die Entscheidung gefallen: Die Ausstellung „Es ist nicht leise in meinem Kopf.“ darf nicht in den Räumen des Landratsamtes während der Interkulturellen Wochen in Pirna gezeigt werden. Nach nur wenigen Stunden wurde sie am 12.09.2024 wieder abgehängt. 

Der Termin für die feierliche Vernissage zur Präsentation der 37 Exponate, die ohne Rücksprache mit den Eigentümern der Ausstellung eigenmächtig wieder abgenommen wurden, wäre eigentlich Mittwoch, 25.09.24. 18 Uhr. Veröffentlichter Grund für die überraschende Entscheidung: Beschwerden von Mitarbeiter*innen im Landratsamt und zufälligen Besucher*innen; als Gründe seien vorgebracht worden: Polarisierung und Emotionalisierung unter den Betrachter*innen.

Die Ausstellung ist u. a. schon in der Chemnitzer Arbeitsagentur oder im Sächsischen Landtag neben vielen Angeboten in Kirchen und Schulen präsentiert worden. Ohne öffentlichen Aufruhr, soweit man weiß, sondern mit viel Zustimmung, wie die Initiatoren, das Ehepaar Lobeck aus Schwarzenberg, versichern. „Warum konnten und durften sich die Besucher*innen nicht mit den bebilderten Geschichten von 35 aus Afghanistan, Syrien oder afrikanischen Ländern Geflüchteten beschäftigen, sie auf sich wirken lassen und sich ein eigenes Urteil bilden?“ empört sich Ina Richter (Kreisrätin der Linken).  „Wieso schlagen die Uhren in Pirna anders, und es entscheidet das Landratsamt über die Inhalte an politischer Bildung der hiesigen Bevölkerung?“, unterstützt sie Dieter Wiebusch (Bündnis 90 / Die Grünen Pirna) in ihrem Protest.

In Pirna sollte die Ausstellung „Es ist nicht leise in meinem Kopf“ im Foyer des Landratsamtes gezeigt werden. Die Ausstellung hat der Flüchtlingsunterstützerkreis Schwarzenberg konzipiert und zeigt, wie und warum Menschen aus ihren Ländern fliehen, wie ihre Flucht sowie ihre Asylverfahren und ihr Ankommen in Deutschland erfolgten. „Bilder und Stimmen von geflüchteten Menschen gehören zu den wenigen Möglichkeiten der gesellschaftlichen Teilhabe, die diese überhaupt haben. Die Ausstellung wäre ein sehr guter Ansatzpunkt zum Verstehen und Handeln gewesen“, mutmaßt Matthias von der Baristagruppe Pirna. 

Christina Riebesecker weiß von der Arbeit in der AG Asylsuchende Pirna, dass „die Ausstellung deshalb gut geeignet ist, weil geflüchtete Menschen darin über ihre individuellen Erfahrungen im deutschen Asylsystem berichten, die eben ambivalent sind, geprägt von strukturellen und alltäglichen Rassismus sowie von Hilfsbereitschaft und Offenheit. Diese Perspektiven sind wichtig und müssen gehört und gesehen werden.“

Es ist die Würde von Menschen und ihre Verletzlichkeit, die in den Exponaten veranschaulicht wird. Es sind Abschiedsschmerz, Strapazen, Entbehrungen, Gefährdungen und Ausgrenzungen, aber auch Freude, es geschafft zu haben und in Deutschland gut aufgehoben zu sein, die Stimmen und Bilder in die Köpfe der Menschen eingeprägt haben. Die vier Pirnaer*innen stimmen darin überein, dass dies das Mindeste sei, was wir gewähren müssen: Durch Erzählen in unserer Sprache Traumata verarbeiten können. Sie fordern: „Der Landrat darf nicht vor den Beschwerden von Bürger*innen und Befindlichkeiten von Mitarbeiter*innen einknicken.“ Diese können / könnten sich jederzeit abwenden, wenn es ihnen zu schwer ums Herz wird. Dieter Wiebusch ergänzt: „Diese Bürger*innen hätten auch die Gelegenheit, offen in der geplanten Vernissage über ihre Positionen zu diskutieren. Herr Geisler muss zulassen, dass Bürger*innen in der Stadt Pirna und Umgebung die andere Perspektive zu Vertreibung und Flucht von Menschen sowie der Integration in ihrem Land mit eigenen Augen wahrnehmen und sich als selbstbestimmte Bürger*innen positionieren können.“ 

Das Bündnis Solidarisches Pirna, dem die vier angehören, kritisiert die Entscheidung des Landratsamtes/Landrates in aller Schärfe und fordert, dass die Ausstellung wie geplant stattfindet. Alles andere wäre eine Schande für unsere Region. Kritisch wird angefragt: „Oder misstraut in Pirna jemand der Urteilsfähigkeit mündiger Bürger*innen?“

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